Eine aktuelle Publikation von Rachel Vanderhill vom Institut zu Regierungsfragen und internationalen Angelegenheiten des Wofford College in den USA veranschaulicht die Bestrebungen autokratischer Regime, die Ausbreitung der Demokratie in den jeweiligen Ländern zu untergraben. Sie untersucht, wie es Ländern, die ansonsten vollkommen in der globalen Gesellschaft integriert sind, gelingt, sich einer Demokratisierung weitgehend zu widersetzen. Vanderhills Studie, die sich auf China und Kasachstan konzentriert, kommt zu dem Ergebnis, dass vorrangig zwei Methoden verwendet werden: „die Einschränkung der Verbreitung demokratischer Ideen“ und „die Entwicklung gesteuerter Informationen über Demokratie um die nationale Rezeption für Demokratisierung zu reduzieren.“ Außerdem hat ein Bericht der Stiftung Freedom House in Washington D.C. über die Beschränkung und Manipulation von Online-Informationen ergeben, dass diese Methoden „im letzten Jahr eine entscheidende Rolle bei den Wahlen in mindestens 18 Ländern gespielt haben.“
Internet-Zensur und gesteuerte Erzählungen
Im Bericht von Freedom House wird China als das Land bezeichnet, in dem „die weltweit schwerwiegendste Einschränkung der Internetfreiheit“ stattfindet. Alle Internetverbindungen von und nach China werden von staatlich kontrollierten Hubs gesteuert, die die Kontrolle und Veränderung aller eingehenden Daten ermöglichen. Durch die Anwendung von Mitteln wie der sogenannten „Great Firewall„, das Zwingen von Internetservice-Providern, sich zusätzlich zu staatlicher Zensur selbst zu zensieren und das Bereitstellen heimischer Alternativen zu herkömmlichen Internetquellen, werden Diskussionen über Demokratie, die der Linie der Regierungspartei zuwiderlaufen, verhindert. Vanderhill erklärt, dass der Zugang der Bevölkerung zu demokratiefördernden Dialogen durch regulierte Rhetorik erschwert wird. Stattdessen werden Fehlinformationen und alternative Erzählungen verbreitet.
In China wird die Internetfreiheit am schwersten eingeschränkt
Im Fall von China werden schwache Reformen, die von der Kommunistischen Partei entwickelt werden, gefördert und das Verständnis von Demokratie durch die Regierung anders definiert als vermeintlich „westliche“ Formen, nämlich mit stark reduziertem Fokus auf bürgerliche und politische Rechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO und anderen internationalen Instrumenten proklamiert werden. Nach Vanderhills Studie wird die Demokratie in China zwar von 90 Prozent der Bevölkerung unterstützt, aber dahinter steht oft ein verzerrtes Demokratieverständnis, das von der Kommunistischen Partei propagiert wird.
Manipulation des Demokratieverständnisses
Diese Technik der Manipulation wird auch in Kasachstan angewandt, das außerdem im Fokus von Vanderhills Studie stand. Trotz der starken Integration in die Weltgemeinschaft schaffen es die kasachischen Behörden, ihre Macht zu erhalten, indem sie das Demokratieverständnis der Bürger beeinflussen. Die Regierung argumentiert hauptsächlich, dass Stabilität wichtiger ist als Demokratie, da zu schnelle Liberalisierung das gesamte Land destabilisieren würde. Statt dessen müsse der Übergang zur Demokratie ein langsamer und schrittweiser Prozess sein, der von der Regierung gesteuert werden müsse. Diese Rhetorik des „Gradualismus“ zielt darauf ab, das kasachische Volk davon zu überzeugen, dass sich das Land schon inmitten eines schrittweisen Überganges zur Demokratie befinde. Jede Art von Druck zu einem schnelleren Wandel in eine vermeintlich „westliche“ Form von Demokratie, würde den Prozess nur destabilisieren und damit den Interessen des Volkes sowie des Staates zuwiderlaufen. Das Risiko, das Destabilisierung mit sich bringe, wird oftmals mit Beispielen anderer Länder veranschaulicht, die durch Misserfolge geschwächt worden seien, wie Georgien und die Ukraine. Indem sie die Bevölkerung davon überzeugt, dass der Weg der Regierung der einzig umsetzbare ist, schafft es das kasachische Regime, trotz seines Autoritarismus an der Macht zu bleiben.
Anzahl von Regierungen, die Internetfreiheit beschneiden, erreicht Rekordhöhe
Der oben erwähnte Bericht von Freedom House kommt zu dem Schluss, dass eine „Rekordzahl an Regierungen den Internetservice ihres Landes aufgrund von politischen oder Sicherheitsgründen beschränken“, was zum siebenten aufeinanderfolgenden Jahr zum allgemeinen Rückgang von Internetfreiheit beigetragen habe. Studien zufolge soll die Verbreitung und Verwendung des Internets dazu beitragen, dass Nutzer „starke demokratische Präferenzen entwickeln“. Daher ist davon auszugehen, dass die Einschränkung des Internet der Verbreitung von demokratischem Gedankengut schadet, wie dies bereits in Kasachstan oder China zu beobachten sein soll.
Beschränkungsmethoden sind besonders effektiv, wenn sie mit Taktiken von Fehl- und Desinformation kombiniert werden, die dazu dienen, ungewollte Fakten durch staatlich gesteuerte Informationen zu ersetzen. Es wird vermutet, dass momentan rund 30 Länder „opinion shapers“, also meinungsformende Taktiken einsetzen, um „Ansichten der Regierung zu verbreiten, spezifische Programme durchzuführen und regierungskritischen Haltungen auf sozialen Netzwerken entgegenzuwirken.“ Methoden der Informationsbeschränkung sowie der Desinformation werden immer fortschrittlicher. „Im Moment werden sowohl Propaganda- als auch Fake News-Outlets betrieben, die soziale Netzwerke und Suchalgorithmen manipulieren“, um verfälschte Informationen zu entwickeln, die echte Fakten nahezu zur Unkenntlichkeit verändern. Diese Techniken zielen nicht nur darauf ab, die autokratische Herrschaft innerhalb des Landes zu stärken, sondern auch darauf, externe Rivalen zu schwächen; das prägnanteste Beispiel hierfür sind „Russlands Desinformationskampagnen in den USA und Europa.“ Werden diese Taktiken gleichzeitig verwendet, können sie effektive Waffen im Arsenal von autokratischen Regimen darstellen.
Die Kenntnis dieser Methoden führt in autokratischen Ländern gleichzeitig zu dem Versuch, technische Gegenmaßnahmen zu treffen. Ein Handbuch über die Stärkung von Cybersicherheit in autoritären Regimen beispielsweise, das von der neuen Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders veröffentlicht wurde, informiert Leser über Risiken und mögliche Vorkehrungen. Unterstützt durch Techniken wie VPNs kann informierten Bürgern geholfen werden, Internetüberwachung und -zensur zu umgehen.
Bild: Chinas Internetzensur werden auch als „Die Große Firewall“ bezeichnet. Original von Jakub Hałun, CC BY-SA 3.0