In seinem jüngsten Jahresbericht über den Zustand von Freiheit und Demokratie in der Welt kommt Freedom House zu dem Schluss, dass „der globale Kampf um die Demokratie im Jahr 2022 einen möglichen Wendepunkt erreicht hat“. Laut der in Washington D.C. ansässigen Stiftung war „die Kluft zwischen der Anzahl der Länder, die insgesamt Verbesserungen bei den politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten verzeichneten, und denjenigen, die insgesamt Rückgänge registrierten, so gering wie nie zuvor in 17 aufeinanderfolgenden Jahren der Verschlechterung.“
In einem Kommentar, der von der Washington Post veröffentlicht wurde, kommentierten Michael J. Abramowitz, Präsident von Freedom House, und Arch Puddington, der „Senior Scholar Emeritus“ der Organisation, dass der Bericht „Hoffnung macht“, dass die Welt „an der Schwelle eines demokratischen Comebacks“ stehen könnte. In vielen Ländern war die Situation jedoch hart und Unterdrückung verschärfte sich.
Nach 17 Jahren kurz vor einer Trendwende?
Konkret stellt der Bericht fest, dass insgesamt 34 Länder im Jahr 2022 Verbesserungen bei den politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten verzeichneten, während 35 Länder an Boden verloren. Zwei Länder mussten nach dieser Einschätzung eine Verschlechterung ihres Freiheitsstatus hinnehmen. Peru wechselte von „frei“ zu „teilweise frei“ und Burkina Faso von „teilweise frei“ zu „nicht frei“. Zwei Länder, Kolumbien und Lesotho, verbesserten ihren Freiheitsstatus von „teilweise frei“ auf „frei“. Insgesamt sind von den 195 im Bericht erfassten Ländern und Territorien nun 84 als frei (2022: 83), 54 als teilweise frei (2022: 56) und 57 als nicht frei (2022: 56) eingestuft.
Freedom House stellt fest, dass die „schwerwiegendsten Rückschläge für Freiheit und Demokratie das Ergebnis von Kriegen, Putschen und Angriffen auf demokratische Institutionen durch illiberale Amtsinhaber“ waren. Die russische Invasion in der Ukraine wird als Versuch gewertet, „die hart erkämpften demokratischen Fortschritte des Landes zunichte zu machen“.
In seinem Bestreben, die Demokratie in der Ukraine zu zerstören, hat der russische Präsident Putin Tausende von Toten und Verletzten unter der ukrainischen Zivilbevölkerung sowie unter den Soldaten beider Seiten zu beklagen, kritische Infrastrukturen zerstört, Millionen von Menschen vertrieben und die „ohnehin schon harte Unterdrückung innerhalb Russlands“ verschärft, so der Bericht.
Ein weiterer Fall von „schlimmsten Exzessen unkontrollierter Macht“, auf den sich der Bericht bezieht, ist die Herrschaft der Taliban in Afghanistan. Im Hinblick auf die Gesamtwertung platziert Freedom House China und Myanmar in den untersten Rängen, wobei unter anderem die Unterdrückung von Minderheitengruppen in Xinjiang, Tibet und der Inneren Mongolei im Falle Chinas und der Rohingya im Falle Myanmars berücksichtigt wird.
Dem Bericht zufolge lieferten die Ereignisse im Jahr 2022 „neue Beweise für die Grenzen der autoritären Macht“. Nach Einschätzung von Freedom House ist der Einfluss autoritärer Regierungen bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen „ins Wanken geraten“ und demokratische Länder haben der Ukraine geholfen, die russische Aggression „zurückzuschlagen“. Der Bericht verweist unter anderem auf die Suspendierung Russlands aus dem Menschenrechtsrat im April und die Beendigung der Mitgliedschaft des Irans in der UN-Kommission für die Rechtsstellung der Frau im Dezember aufgrund der brutalen und tödlichen Unterdrückung von Protesten durch die iranische Regierung.
Auf der Grundlage einer anderen Methodik und anderer Daten kam eine andere jährliche Bewertung, die kürzlich von V-Dem vorgestellt wurde, zu dem Schluss, dass eine Rekordzahl von 42 Ländern derzeit auf dem Kurs einer Autokratisierung sind, während nur 14 Länder sich demokratisieren, was ein düstereres Bild ergibt. Der im Februar vorgestellte Bericht der Economist Intelligence Unit, der wiederum einen anderen Ansatz verwendet, registrierte nach Jahren des demokratischen Rückschritts seit 2015 einen „Punkt der Stagnation“ im Jahr 2022.