Vor 75 Jahren, am 23. August 1947, trafen sich über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus mehr als 20 Ländern und 50 Organisationen in Montreux, Schweiz, zur ersten „Konferenz der Weltbewegung für eine föderale Weltregierung“
Albert Einstein und der britische Außenminister Ernest Bevin gehörten zu denjenigen, die ihre besten Wünsche übermittelten. Zu den Befürworterinnen und Befürwortern einer Weltföderation gehörten damals auch die indischen Freiheitskämpfer Mohandas Gandhi und Jawaharlal Nehru.
Grundsätze der vorgeschlagenen Weltföderation
Bei der Eröffnung des Kongresses skizzierte der Schweizer Völkerrechtler Max Habicht die wichtigsten Bestandteile der vorgeschlagenen Weltregierung: Erstens ein Weltparlament, „in dem die Vertreter der Völker der Welt durch Mehrheitsbeschluss Weltgesetze erlassen werden“. Ferner „eine Judikative, die die Weltgesetze auslegen wird“ und schließlich „eine Exekutive, die mit Hilfe einer internationalen Polizei jeden Menschen überall auf der Welt zwingen wird, die Weltgesetze zu befolgen“
Die Konferenz verabschiedete die „Erklärung von Montreux“ als die wichtigste politische Plattform des heutigen World Federalist Movement, kurz WFM. Neben der Einschränkung der nationalen Souveränität durch die Übertragung von Befugnissen auf die globale Legislative, Judikative und Exekutive wurden in dem Dokument weitere Grundsätze formuliert: universelle Mitgliedschaft, Subsidiarität, Gewährleistung der Menschenrechte, Befugnis zur Erhebung globaler Steuern und globale Kontrolle der Nukleartechnologie und „anderer wissenschaftlicher Entdeckungen, die zur Massenvernichtung fähig sind.“
Wenig Veränderung in 75 Jahren
Wenn man sich die Montreux-Erklärung heute ansieht, wird einem bewusst, wie wenig sich die politischen Strukturen der Welt verändert haben. Das internationale Recht und das Weltsystem beruhen immer noch auf dem schädlichen Prinzip der nationalen Souveränität. Die UNO hat sich kaum verändert. Selbst die Europäische Union, der fortschrittlichste Versuch einer supranationalen Integration, hat sich noch nicht in eine echte europäische Föderation verwandelt.
Das Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg war eine „Goldene Periode“ des Weltföderalismus. Die Schrecken des Krieges waren noch immer präsent. Die Entwicklung von Atomwaffen und ihr Einsatz in Hiroshima und Nagasaki waren ein Schock, der deutlich machte, dass sich die Menschheit auf einem Weg der Selbstzerstörung befindet. Alle Augen richteten sich auf das magische Jahr 1955, in dem eine Überprüfung der UN-Charta stattfinden sollte. Aber diese Überprüfung hat nicht stattgefunden.
Reform der bestehenden Institutionen
Die Weltföderalisten richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Reform der bestehenden Institutionen, um sie effektiver und demokratischer zu machen. Viele der Vorschläge stehen immer noch auf der Tagesordnung. Das WFM befürwortet zum Beispiel eine Reform des Sicherheitsrats, die Stärkung des Internationalen Gerichtshofs, die Schaffung einer ständigen UN-Friedenstruppe, globale Einnahmequellen wie eine Tobin-Steuer und eine UN-Umweltorganisation.
Der WFM hat sich schon früh für die Einsetzung einer UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung eingesetzt, was 1992 auch tatsächlich geschah. Die Organisation hat sich für ein offenes und faires System für den Zugang von NGOs zu den Vereinten Nationen über den ECOSOC und darüber hinaus eingesetzt. Es war das WFM, das nach dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre den Vorschlag für eine Parlamentarische Versammlung bei der UNO wiederbelebte. Die Weltföderalisten halfen dabei, die internationale Kampagne für die Versammlung im Jahr 2007 zu starten.
Der WFM war ein wichtiger Partner in der Kampagne 1 for 7 Billion, die sich erfolgreich für eine transparentere und offenere Auswahl des UN-Generalsekretärs einsetzte.
Das Projekt, für das die Weltföderalisten am besten bekannt sind, ist ihr Beitrag zur Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Das WFM war maßgeblich an der Mobilisierung von Unterstützung für den Gerichtshof beteiligt, der 2002 ins Leben gerufen wurde. Von 1995 bis 2020 leitete das WFM die Koalition für den ICC. Es war auch federführend bei der Koalition für die Schutzverantwortung, eine Doktrin, die ebenfalls einen großen Schritt nach vorne im internationalen Recht darstellt.
Autoritarismus als Hindernis für eine Weltföderation
Nach einer herausragenden Karriere ging der langjährige Exekutivdirektor des WFM, Bill Pace, im Jahr 2018 in den Ruhestand. Nach Führungswechseln und durch die Covid-19-Pandemie bedingte Zerrüttungen befindet sich das WFM nun in einem Prozess des Neuaufbaus.
Das langfristige Ziel ist so aktuell wie eh und je, wenn nicht sogar noch wichtiger, wie eine lange Liste drängender globaler Probleme beweist. Meiner Meinung nach ist das wichtigste Hindernis für den Weltföderalismus der Autoritarismus.
Eine Weltföderation im eigentlichen Sinne muss, wie bereits erläutert, auf demokratischen Werten und Praktiken beruhen. Sie muss die Menschenrechte für alle Menschen auf dem gesamten Planeten garantieren. Und die Demokratie selbst ist ein Menschenrecht.
Das ist mit autoritärem Regieren nicht vereinbar.
Es war von Anfang an, schon 1947, eine Illusion zu glauben, dass eine Weltföderation mit einer stalinistischen Sowjetunion an Bord gebildet werden könnte. Ein System der kollektiven Sicherheit, ja vielleicht. Aber keine Weltföderation.
Hier hat das weltföderalistische Denken wahrscheinlich am meisten versagt und tut es in einigen Fällen immer noch. Und deshalb muss die Förderung der Demokratie eine der wichtigsten Strategien des Weltföderalismus sein. Diese Schlussfolgerung spiegelt sich in einer langfristigen Theorie der Veränderung wider, die von Demokratie ohne Grenzen angenommen wurde.
Sicherlich dürfen wir keine Zeit verlieren, bis alle Länder Demokratien geworden sind. In der Zwischenzeit müssen weniger ehrgeizige Ziele als eine vollwertige universelle Weltföderation angestrebt werden, ohne allerdings die langfristige Vision aus den Augen zu verlieren. Zum Beispiel die Unterstützung einer besseren, umfassenderen und rechenschaftspflichtigeren globalen Zusammenarbeit, unabhängig vom Typ der beteilitgten Regierungen, in Bereichen wie Frieden und Sicherheit, Abrüstung, Klimapolitik oder globale Gesundheit.
Was die UNO betrifft, so wird der vorgeschlagene UN-Zukunftsgipfel im Jahr 2023 hoffentlich wichtige Veränderungen umsetzen oder auf den Weg bringen.
Dieser Artikel basiert auf einer Präsentation bei einem Webinar, das von den Young World Federalists organisiert wurde. Von 1998 bis 2018 war der Autor Mitglied des inzwischen aufgelösten WFM Councils.