In einer wegweisenden Resolution hat die UN-Generalversammlung heute beschlossen, dass sie jedes Mal, wenn ein oder mehrere ständige Mitglieder des Sicherheitsrates ein Veto einlegen, zu einer formellen Sitzung einberufen wird, „um eine Debatte über die Situation zu führen, in der das Veto eingelegt wurde.“
Die Resolution wurde von Liechtenstein zusammen mit über 70 Staaten eingebracht, darunter Frankreich, die Vereinigten Staaten und Großbritannien, drei der fünf Vetomächte des Rates. Sie wurde ohne eine formelle Abstimmung angenommen. Die neue Regelung könnte das Machtverhältnis zwischen dem Sicherheitsrat, seinen ständigen Mitgliedern und der Versammlung verschieben.
Der Sicherheitsrat arbeitet im Namen der Mitglieder der UNO
In einem Interview betonte Liechtensteins UN-Botschafter Christian Wenaweser in der vergangenen Woche, dass „die Charta der Vereinten Nationen klar besagt, dass der Sicherheitsrat seine Arbeit im Namen der Mitglieder macht“. Wenn ein ständiges Mitglied ein Veto einlegt, „würden wir gerne von ihm hören, warum es sein Veto eingelegt hat und warum es seiner Meinung nach im Interesse der Organisation liegt und mit den Grundsätzen der Charta vereinbar ist.“
Der Botschafter wies darauf hin, dass es bei dem neuen Verfahren „nicht darum geht, jemanden an den Pranger zu stellen, sondern darum, dass Rechenschaft abgelegt wird.“
Das Vetorecht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats ist erneut in die Kritik geraten, nachdem Russland am 25. Februar dieses Jahres mit seinem Veto die Verabschiedung einer Resolution verhindert hatte, in der der russische Angriff auf die Ukraine – ein eklatanter Verstoß gegen die UN-Charta – verurteilt werden sollte. Daraufhin wurde in einer Notfall-Sondersitzung der Generalversammlung, die nach dem Prinzip „Uniting for Peace“ einberufen wurde, eine entsprechende Erklärung verabschiedet.
Nach „Uniting for Peace“ übernimmt die Generalversammlung eine subsidiäre Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, wenn der Sicherheitsrat durch eine Meinungsverschiedenheit zwischen seinen fünf ständigen Mitgliedern blockiert ist. Automatische Sitzungen nach dem neuen Verfahren werden abgehalten, „sofern die Versammlung nicht in einer Dringlichkeitssondersitzung zur gleichen Situation zusammentritt.“
Während Liechtensteins Botschafter betonte, dass das neue Verfahren „ergebnisoffen“ und „völlig unverbindlich“ sei, hoffen viele Kritiker des Vetorechts, dass es dazu beitragen wird, das Kräfteverhältnis zugunsten der Generalversammlung zu verschieben.
Die politischen Kosten für den Missbrauch des Vetos werden erhöht
„Das Vetorecht an sich untergräbt den demokratischen Charakter der UNO. Aber wenn ein ständiges Mitglied eine Streitpartei ist und der einzige Zweck seines Vetos darin besteht, es vor jeglicher Einmischung der UNO oder gar Kritik zu schützen, dann gibt es keinerlei Legitimität und die Generalversammlung muss eingreifen“, sagte Andreas Bummel, Geschäftsführer von Demokratie ohne Grenzen. „Wir hoffen, dass das neue Verfahren dazu beitragen wird, die Generalversammlung zu stärken und zu einer entschlosseneren und häufigeren Anwendung des Prinzips ‚Uniting for Peace‘ führen wird“, fügte er hinzu.
Im Gespräch mit IPS begrüßte Bummel die Initiative nachdrücklich und wies darauf hin, dass das Verfahren „die ständigen Mitglieder des Rates zwingen wird, ihr Votum vor der Weltgemeinschaft zu rechtfertigen. Die politischen Kosten für den Missbrauch des Vetos werden erhöht. Außerdem wird die Generalversammlung routinemäßig in der Lage sein, ihre eigenen Maßnahmen zu erwägen.“
Der Vorsitzende der britischen Sektion von Demokratie ohne Grenzen und Vorsitzende des Exekutivkomitees des World Federalist Movement, John Vlasto, kommentierte: „Es ist ermutigend, diese Initiative zur Überprüfung durch die gesamte UN-Mitgliedschaft zu sehen, wenn der Nationalismus im Sicherheitsrat aus dem Ruder läuft.“
Nach Ansicht von Demokratie ohne Grenzen leidet jedoch die Generalversammlung selbst an einem Demokratiedefizit. „Die UNO kann nicht ein exklusiver Club von Regierungen bleiben. Die Generalversammlung muss durch ein parlamentarisches Gremium ergänzt werden, das gewählten Abgeordneten eine Stimme gibt“, so Andreas Bummel.
„Übereinstimmende Resolutionen, die sowohl von der Generalversammlung als auch von einer parlamentarischen Versammlung verabschiedet werden, hätten eine nie dagewesene Legitimität“, erklärte er.