Die weltweite Autokratisierungswelle schreitet auch im Jahr 2020 voran. In der globalen Entwicklung ist die Demokratisierung in den letzten Jahren in etwa auf das Niveau von 1990 zurückgefallen. Dies ist eine der Haupterkenntnisse des diesjährigen Berichts des Varieties of Democracy Instituts (V-Dem) der Universität Göteborg, Schweden. Die Studie gibt zudem Einblicke in die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die weltweite Demokratisierung.
Autokratisierung hält weiter an
Gemäss dem aktuellen V-Dem-Berichts weisen 25 Staaten eine Autokratisierungstendenz auf, während die Anzahl an Nationen, welche sich hin zu einer Demokratie entwickeln, auf 16 gefallen ist. Nur gerade 4% der Weltbevölkerung leben in diesen 16 Ländern, wohingegen 34% der Weltbevölkerung sich auf Staaten verteilen, welche sich Richtung Autokratie entwickeln. Noch vor zehn Jahren lebten nur 6% der Weltbevölkerung in Ländern mit einer Autokratisierungstendenz.
Betrachtet man die Länder mit den stärksten Autokratisierungstendenzen muss festgestellt werden, dass mit Polen und Ungarn zwei Mitgliedsstaaten der EU die unrühmliche Rangliste anführen. Mit Ländern wie der Türkei, Brasilien oder Indien folgen grosse G20-Staaten. Die Autokratisierung verläuft typischerweise in allen Ländern ähnlich. Zunächst schränkt die Regierung die Medien und Zivilgesellschaft ein. Dies führt, zusammen mit dem Verbreiten von Falschinformationen und der Diskreditierung der Opposition, zu einer Polarisierung der Gesellschaft, woraufhin die formalen Institutionen untergraben werden. Positiv entwickelt haben sich vor allem kleinere Länder. Die grössten Fortschritte in den letzten zehn Jahren machten Tunesien und Armenien.
Nur 14% der Weltbevölkerung lebt in einer liberalen Demokratie
Die elektorale Autokratie bleibt auch 2020 die am weitest verbreitete Regierungsform der Welt. 87 Staaten, in welchen gesamthaft 68% der Weltbevölkerung lebt, zählen zu den elektoralen oder geschlossenen Autokratien. Im Vergleich dazu lebten vor zehn Jahren noch rund 48% der Weltbevölkerung in Autokratien. Dahingegen ist die Anzahl an liberalen Demokratien im letzten Jahrzehnt von 41 auf 32 Nationen gesunken, womit jetzt noch 14% der Weltbevölkerung in liberalen Demokratien leben. 19% der Weltbevölkerung aus 60 Nationen lebte im Jahr 2020 in elektoralen Demokratien. Der starke Anstieg der des Bevölkerungsanteils in Autokratien hängt auch mit der Neueinstufung Indiens als elektorale Autokratie zusammen. Der Bericht zeigt auf, dass sämtliche Weltregionen vom Rückgang liberaler Demokratien betroffen sind.
Bedrohung der Meinungsfreiheit nimmt zu
Weltweit ist festzustellen, dass die Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit verstärkt bedroht ist. In 32 Ländern ist die freie Meinungsäusserung deutlich rückläufig. Im Jahre 2017 war dies noch in 19 Ländern zu beobachten. Auch Repressionen gegenüber der Zivilgesellschaft haben sich im Berichtsjahr intensiviert. Im letzten Jahrzehnt verzeichnete das Forschungsinstitut in 50 Ländern eine erhebliche Verschlechterung der Situation. War im letztjährigen Bericht die grosse Zahl an zivilen Bewegungen und die grosse Mobilisation der Bevölkerung für eine Demokratisierung ein Hoffnungsschimmer des Berichts, erodierte die Mobilisierung dieses Jahr, wohl auch Pandemie bedingt, richtiggehend und liegt auf dem tiefsten Niveau seit über zehn Jahren.
Covid-19-Effekt
Interessanterweise beleuchtet der diesjährige Report auch die Folgen der Corona-Pandemie für die weltweite Demokratie. Die Bekämpfung der Pandemie führte dazu, dass viele Länder demokratische Prinzipien verletzten. Obwohl die meisten Demokratien verhältnismässig auf die Pandemie reagierten, verzeichnet das schwedische Forschungsinstitut schwerwiegende Verletzungen internationaler demokratischer Normen in neun Demokratien und leichte Verletzungen in 23 Demokratien. Auch in Bezug auf die COVID-19-Pandemie gelang die Medienfreiheit unter Druck. Zwei Drittel aller Länder schränkten die Medienfreiheit ein. Für den Demokratisierungsprozess ebenfalls bemerkenswert ist, dass 31% der Länder die Notmassnahmen zeitlich nicht beschränkten. Ob sich jedoch ein langfristiger Effekt durch die weltweite Pandemie auf die Entwicklung der Demokratie einstellt, wird sich noch zeigen müssen.
Eine Allianz Demokratien kann eine entscheidende Rolle bei der Trendwende dieser Entwicklung spielen, argumentierte Andreas Bummel, Geschäftsführer von Demokratie ohne Grenzen in einem Meinungsbeitrag bei Al Jazeera.
Die Studie des V-Dem-Projekts basiert auf der Einschätzung von über 3.000 lokalen Expert*innen in der ganzen Welt, welche zusammen knapp 30 Millionen Datenpunkte betreffend Demokratie, Menschenrechten, Zivilgesellschaft und andere mehr erarbeiten.