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Die Corona-Pandemie und die Notwendig­keit von Global Governance

Palais des Nations in Geneva. Image by konferenzadhs from Pixabay

Die Beeinträchtigungen unseres Lebens und unserer Gesellschaften durch die COVID-19 (Coronavirus)-Krise machen einige Schwächen unserer politischen Systeme und der Organisation unserer Gesellschaften deutlich sichtbar. Denken Sie zum Beispiel an den Mangel an universeller Gesundheitsversorgung in einigen Ländern, welcher jetzt besonders problematisch wird, oder an die Anfälligkeiten, die durch den enormen Umfang des Flugverkehrs im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung entstanden sind. Diese Situation ist traurig, weckt aber gleichzeitig auch die Hoffnung auf Veränderung: Vielleicht lernen wir daraus. Vielleicht ist dies der Beginn einer Transformation. Vielleicht sollten wir dies zum Anlass nehmen, Dinge zu ändern. Das Problem, das ich hier ansprechen möchte, ist die fehlende effektive Zusammenarbeit und Koordination auf globaler Ebene, oder genauer gesagt: Das Fehlen einer geeigneten Global Governance und der politischen Institutionen, die dazu in der Lage sind. Es ist deutlich geworden, dass es angesichts einer Pandemie globalen Ausmaßes höchst ineffektiv und gefährlich ist, Politik nur den Nationalstaaten zu überlassen. Viren kennen keine Grenzen, und selbst wenn es eine durchaus verständliche Reaktion ist, Grenzen zu schließen und sich auf das eigene Territorium zurückzuziehen, macht es keinen Sinn, wenn nur einige Länder dies tun und andere nicht – oder viel später, zu spät.

Im Hinblick auf Menschenrechte und andere universelle Prinzipien und Werte, scheint es auch völlig ungerecht zu sein, dass einige BürgerInnen besseren Schutz erhalten als andere, nur weil sie zufällig in einem Land mit einer anderen Politik leben (z.B. einer Politik, die auf „Herdenimmunität“ setzt). Im Sinne der Gerechtigkeit wäre es richtig, Maßnahmen zur Krisenbewältigung und ganz allgemein die Gesundheitspolitik zu koordinieren. Wenn dies nur eine einmalige Angelegenheit wäre, bei der es nur um die Gesundheit geht, könnten wir es dabei belassen zu einer vorübergehenden globalen Koordination angesichts der COVID-19-Pandemie aufzurufen. Vielleicht ließe sich dieses Problem dadurch lösen, dass bestehende internationale Institutionen ad hoc supranationale Elemente einführen, etwas, was heute leider noch fehlt, worauf man aber innerhalb der Grenzen des derzeitigen Systems zumindest hoffen kann. (Vielleicht beim nächsten Mal, nachdem bereits Tausende von Menschen gestorben sind?)

Wir brauchen Global Governance und angemessene supranationale Strukturen

Aber es gibt gute Gründe, warum wir uns besser für eine dauerhafte supranationale Lösung entscheiden sollten: Dies ist nicht die einzige Krise, mit der wir konfrontiert sind. Es gibt eine viel größere globale Bedrohung, die nicht verschwunden ist, nur weil wir nicht hinsehen, da wir wir alle von der Corona-Krise gebannt sind: die Klimakrise. Viele WissenschaftlerInnen und AktivistInnen erinnern uns immer wieder daran, dass die Zeit drängt. Und es gibt andere globale Herausforderungen, die mit Technologien, Wasser, Krieg und dergleichen zu tun haben – welche alle leicht in einer globalen Krise enden könnten. Denken Sie zum Beispiel an die Gefahren des Einsatzes künstlicher Intelligenz zur automatisierten Kriegsführung.

Mein Hauptargument ist ebenso aussagekräftig wie einfach: globale Probleme brauchen globale Lösungen. Eine globale Antwort ist unmöglich, wenn wir nicht die entsprechenden politischen Institutionen auf globaler Ebene schaffen. Deshalb brauchen wir eine Global Governance, für die wir die geeigneten supranationalen Strukturen schaffen müssen. Man muss kein Philosoph sein, um das zu verstehen. Müssen wir wirklich warten, bis die Lage sich verschlechtert hat, bevor wir handeln? Oder wird sich kleinkarierterNationalismus wieder einmal in den Weg stellen, um das zu tun, was um des Menschen und der Menschheit willen vernünftig wäre? Heute stößt jeder Vorschlag bezüglich supranationaler Institutionen für Global Governance stets auf großen Widerstand. Abgesehen von rein nationalistischen Reaktionen gibt es mindestens die folgenden drei Einwände.

Erstens wird immer wieder die Gefahr des Autoritarismus beschworen. Diese Gefahr ist real. Aber heute wird er hauptsächlich durch den Nationalismus hervorgerufen. Wir sehen, wie der Rechtspopulismus in Ländern wie Brasilien, den USA und Ungarn langsam in die Richtung des Autoritarismus gleitet. Darüber hinaus ist die Gefahr des Autoritarismus an sich kein gutes Argument gegen Global Governance, da sie auch auf der Ebene des Nationalstaates besteht. Die Herausforderung auf nationaler und supranationaler Ebene besteht also darin, dafür zu sorgen, dass die politischen Institutionen demokratisch sind und die Freiheit schützen. Aber es ist sicherlich kein Argument gegen Global Governance als solche.

Zweitens hängt mit diesem Einwand die Idee zusammen, dass Global Governance eine Weltregierung bedeutet. Daran schließt sich die Sorge an, dass es sich dabei um eine mächtige und zentralistische Regierung handelt, die nicht nur die Gefahr des Autoritarismus in sich birgt, sondern auch die gesamte Macht auf Kosten der Macht der Nationalstaaten und anderer politischer Ebenen an sich zieht. Diese Sorge ist ebenfalls real und legitim, kann aber dadurch entschärft werden, dass wir uns daran erinnern, dass das Modell des zentralistischen Nationalstaats und der Staat an sich nicht die einzigen Regierungsmodelle sind. Zum Beispiel bieten Länder wie die USA und Deutschland relativ erfolgreiche föderalistische Modelle für die Organisation des Nationalstaates an. Und ich fordere alle auf, kreativ zu sein und eine Alternative für den Staat als wichtigste politische Institution zu finden.

Drittens befürchten manche Menschen, dass Global Governance aufgrund kultureller Unterschiede schwierig sei oder dass eine Weltregierung kulturelle Unterschiede, Identität und Zugehörigkeitsgefühl auslöschen würde. Diese Besorgnis ist verständlich, aber auch hier ist sie als Einwand nicht durchschlagend. Die Herausforderung, kulturelle Unterschiede und Zugehörigkeitsgefühle zu respektieren und eine gemeinsame Wertebasis für die Regierungsführung zu finden, besteht auch auf der Ebene der Nationalstaaten, und wenn wir die internationale Praxis betrachten, gibt es Gründe, optimistisch zu sein: Menschen konnten sich um Ideen wie Menschenrechte und andere Prinzipien und Werte herum zusammenfinden. Die philosophischen Probleme im Hinblick auf die Idee einer globalen Ethik sollten nicht mit den pragmatischen Herausforderungen der Zusammenführung von Menschen und der politischen Realität einer Welt verwechselt werden, die bereits einen Weg zur Zusammenarbeit gefunden hat.

Darüber hinaus tendieren wir gerade in Krisenzeiten dazu, eine Basis für die Zusammenarbeit zu finden, aufgrund der Erkenntnis, dass „wir alle gemeinsam in einem Boot sitzen“. Eine Krise wie der Klimawandel oder COVID-19 macht uns unsere gemeinsamen Interessen, die Bedeutung der Zusammenarbeit und den Wert des Gemeinwohls sowie ein grundlegendes ontologisches Kennzeichen unserer Welt bewusst: die Relationalität. Wir sind aufeinander angewiesen und voneinander abhängig, und alles ist mit allem verbunden. Nie zuvor war es so klar, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings das Wetter auf der anderen Seite der Welt beeinflussen kann: Ihr Virus von heute wird morgen mein Virus sein, wo auch immer Sie leben und woher auch immer Sie kommen.

Zügelloser Nationalismus hat bereits genug Schaden angerichtet

Eigentlich kommt die Erkenntnis der Notwendigkeit der Zusammenarbeit auf der Grundlage des Gefühls, dass „wir alle gemeinsam in einem Boot sitzen“, nicht zum ersten Mal. Die wichtigste zwischenstaatliche (nicht supranationale) Institution, die wir heute haben, die Vereinten Nationen, wurde 1945 geschaffen, um den Frieden zu erhalten und eine verstärkte internationale (nicht supranationale) Zusammenarbeit zu erzielen. Dies geschah nicht nur, weil einige Leute an die internationale Zusammenarbeit glaubten. Es geschah als Reaktion auf eine schwerste Krise auf globaler Ebene: dem Zweiten Weltkrieg.

Heute stehen wir vor neuen Krisen, vor globalen Krisen. Eine von ihnen, die Klimakrise, wird große Auswirkungen auf die Zukunft unserer Gesellschaften und die Menschheit haben. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um den nächsten Schritt nach der Internationalität voranzutreiben: Global Governance. Wenn wir diese historische Chance nicht nutzen, werden uns künftige Generationen das nicht verzeihen. Zügelloser Nationalismus hat bereits genug Schaden angerichtet. Es ist Zeit für Veränderungen, und die Zeit ist jetzt gekommen.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf www.e-ir.info unter einer CC BY-NC 4.0 Creative Commons-Lizenz auf englisch veröffentlicht. Er wird hier unter den gleichen Bedingungen als eigene deutsche Übersetzung wiederveröffentlicht.

(übersetzt von Sabina Triseckin)

Mark Coeckelbergh
Mark Coeckelbergh is Professor of Media and Technology at the University of Vienna. He is an expert in ethics of AI and ethics of robotics.
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