US-Außenminister Mike Pompeo hat «eine neue Gruppierung gleichgesinnter Nationen, eine neue Allianz der Demokratien» gegen China gefordert. Die USA haben diese Idee schon einmal aufgeworfen: 2003, als sie sich im UN-Sicherheitsrat nicht durchsetzen konnten, um ein alternatives Format zu schaffen, das die Invasion des Irak legitimieren könnte.
Heute ist Washington unzufrieden mit der wenig enthusiastischen Reaktion seiner NATO-Verbündeten auf die Bemühungen, die Aufmerksamkeit des Bündnisses vor allem auf China zu verlagern. Für die europäischen NATO-Mitglieder besteht die Daseinsberechtigung des Bündnisses nach wie vor in der Abschreckung Russlands. In der EU, die ihre eigene China-Strategie geschmiedet hat, genießt die Trump-Administration ohnehin wenig Sympathie. Angesichts des wachsenden Einflusses Chinas ist die Sorge Europas um seine Souveränität gewachsen, aber gleichzeitig hat sich die EU sorgfältig von einer als zu konfrontativ empfundenen US-Strategie abgegrenzt.
Indem sie ihre europäischen und asiatischen Verbündeten in einem neuen «Bündnis der Demokratien» unter amerikanischer Führung zusammenführen, könnten sich die USA erhoffen, diese mit ihrer eigenen China-Strategie auf Linie zu bringen. Dies wäre jedoch ein weiterer Schritt in Richtung einer Spaltung der Welt in zwei rivalisierende Blöcke, was genau das ist, was die EU zu vermeiden versuchen sollte. Ein neuer Kalter Krieg, d.h. eine gegenseitige Entkopplung der Volkswirtschaften und ein systematisches Vorgehen gegen jede Initiative der anderen Seite, würde die internationale Politik lähmen und die Weltwirtschaft in eine noch tiefere Rezession stürzen, als sie das Coronavirus bereits verursacht.
Genau wie im Kalten Krieg wäre Europa für die USA ein zweitrangiger Akteur, jetzt allerdings auf einem Nebenschauplatz, weil Asien nun die Hauptbühne wird. Die europäischen und amerikanischen Interessen überschneiden sich stark, aber sie sind nicht identisch. Die EU kann nicht darauf vertrauen, dass die USA sich um die wirtschaftlichen Interessen Europas kümmern. Da die USA die unangefochtene Nummer eins bleiben wollen, ist für Washington der Aufstieg Chinas per se ein Problem. Nicht so für die EU: Wenn – und nur wenn – China die Grundregeln der Weltordnung respektiert, kann Europa mit der Tatsache leben, dass China wieder eine Großmacht ist.
Eine «Allianz der Demokratien» wäre kein Bündnis mit den USA, sondern für die USA
Eine «Allianz der Demokratien» wäre daher nicht wirklich ein Bündnis mit den USA – es wäre ein Bündnis für die USA, um die amerikanischen Interessen zu fördern, denen die Interessen ihrer Verbündeten am Ende unweigerlich untergeordnet würden. Wenn es den USA wirklich wichtig ist, ihre Verbündeten mit ins Boot zu holen, dann sollten sie diese aufrichtiger in bestehenden Rahmen wie der NATO konsultieren, anstatt diesen ihre Agenda aufzuzwängen. Washington sollte mit Schlüsselakteuren wie der EU zusammenarbeiten und eine gemeinsame Agenda aufstellen, anstatt mit Zöllen zu versuchen, sie auf Linie zu zwingen.
Wenn ein neues Format erforderlich ist, dann sollte es ein Format sein, das bestehende Gräben überwindet. Viel vielversprechender als eine «Allianz der Demokratien» ist die Allianz für Multilateralismus, die Frankreich und Deutschland auf der UN-Generalversammlung 2019 gestartet haben. Dabei handelt es sich eher um ein Netzwerk als um eine Organisation, das versucht, Ad-hoc-Koalitionen zu bestimmten Themen aufzubauen, mit dem übergeordneten Ziel, internationale Regeln zu stärken. Ein gutes Beispiel dafür, wie eine solche flexible Diplomatie funktionieren kann, war die Schaffung eines vorläufigen Mechanismus, der das von den USA blockierte WTO-Berufungsgremium im März 2020 durch eine freiwillige Gruppe aus EU, China und vierzehn weiteren WTO-Mitgliedern ersetzte. Das Ziel besteht in der Tat nicht darin, sich gegen China oder irgendjemanden anderen zu verbünden, sondern China und andere an sich zu ziehen und sie davon zu überzeugen, dass auch ihre politische Stabilität, ihr wirtschaftlicher Wohlstand und ihre Sicherheit von der auf Regeln basierenden Ordnung abhängen.
Vieles hängt natürlich vom Verhalten Chinas ab. China ist ein autoritärer Staat, und es ist eine Großmacht. Die EU und die USA müssen sich für die Menschenrechte einsetzen und müssen deshalb Chinas Verletzung des Prinzips «ein Land, zwei Systeme» in Hongkong und seine schreckliche Behandlung der uigurischen Bevölkerung in Xinjiang kritisieren. Aber weil China eine Großmacht ist, äußern sich Europa und Amerika in dem Wissen, dass sie wenig Einfluss haben.
Wichtiger noch: Selbst wenn China morgen eine Demokratie werden sollte, wäre es immer noch eine Großmacht, die globale Interessen verfolgt. Ein demokratisches China würde seine Ansprüche auf das Südchinesische Meer wahrscheinlich nicht fallen lassen, die Initiative für eine neue Seidenstraße aufgeben oder seine Einflussnahme in Europa und anderen Orten einstellen. Das ist es, was die europäischen und amerikanischen Interessen direkt betrifft und wogegen sie zurückschlagen sollten, wenn China die auf Regeln basierende Ordnung verletzt.
Die EU und die USA müssen den Menschenrechtsdiskurs aufrechterhalten, aber sie sollten ihre politische, wirtschaftliche und militärische Macht aktiv nutzen, um China in Fragen der internationalen Politik zu involvieren und nicht in Angelegenheiten der Innenpolitik. China wird seine Innenpolitik nicht ändern, selbst wenn Europäer und Amerikaner ihre Volkswirtschaften abkoppeln würden, denn in den Augen des chinesischen Regimes stehen seine vitalen Interessen auf dem Spiel. Auch die Sowjetunion hat ihre Innenpolitik unter westlichem Druck nie geändert. Aber in der internationalen Politik haben die EU und die USA gemeinsam Einfluss. Nicht indem sie vereinfachend einen neuen Kalten Krieg beginnen, bei dem alle verlieren würden, sondern indem sie klugerweise gegen China zurückschlagen, wenn sie müssen, und gleichzeitig mit China zusammenarbeiten, wenn sie können.
Dieser Kommentar wurde ursprünglich von Egmont online veröffentlicht und mit Genehmigung hier veröffentlicht. Das Copyright verbleibt bei Egmont und dem Autor. Übersetzung aus dem Englischen durch Caroline Kessler.