Die Coronavirus-Krise zeigt die Folgen des enormen Widerspruchs, unter dem heute sieben Milliarden Menschen leben: eine technologisch und wirtschaftlich globalisierte, politisch aber in fast 200 Nationalstaaten gespaltene Welt. Die einzelnen Staaten ergreifen alle getrennt voneinander unkoordinierte Maßnahmen, obwohl die gesamte Weltbevölkerung von der Pandemie betroffen ist. Glaubt irgendjemand, dass dies funktionieren kann?
Finanzielle Instabilität. Der Klimawandel. Coronavirus-Krise. Unabhängig von den Warnsignalen halten wir unsere politischen Systeme weiterhin an das nationale/internationale Modell gebunden, das auf dem Paradigma der nationalen Souveränität beruht. Jeder richtet die Regierungspolitik danach aus, was dem nationalen Interesse am besten entspricht. «Souveränität» nennen sie es, und wir alle leiden unter den Folgen.
Hat es während des Ausbruchs der Coronavirus-Pandemie chinesische Nachlässigkeit gegeben? War es eine Verschwörung von Trump, Putin oder einer terroristischen Sekte? Haben alle beteiligten Länder angemessen reagiert? Haben sie es gut gemacht? Wir wissen es nicht wirklich, da es keine transparenten globalen Mechanismen zur Früherkennung und Kontrolle von Pandemien gibt. Wir wissen es nicht, aber unser Leben steht dabei auf dem Spiel.
Natürlich gibt es trotz der Sabotage der nationalen Populisten immer noch die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation. Aber die Coronavirus-Pandemie hat deutlich gemacht, dass die Kapazitäten der UNO und ihrer Organisationen weit unter den Anforderungen einer globalen Gesellschaft liegen, die verbindliche Maßnahmen auf globaler Ebene braucht: Frühwarnsysteme, Informationsaustausch, Aufstellung und Durchsetzung allgemeiner Normen, Management der grenzüberschreitenden Übertragung und Forschung zur Impfstoffbehandlung.
Eine neue Welt wird entstehen. Aber wird es eine bessere oder eine schlechtere sein?
Grundlegende Vorschriften und verbindliche Normen sind entscheidend für die Erhaltung der öffentlichen Weltgüter wie menschliche Gesundheit, Umwelt, finanzielle Stabilität und internationaler Frieden. Doch obwohl es die UNO und ihre Organisationen gibt, steht es den Nationalstaaten frei, sich zu weigern und unangemessene Maßnahmen zu ergreifen, was katastrophale Folgen für den Rest der Welt hat. Übertreibung? Das ist genau das, was im Hinblick auf die Coronavirus-Pandemie und die globale Erwärmung gerade jetzt geschieht.
Alle sagen, dass aus der Coronavirus-Pandemie eine neue Welt hervorgehen wird; aber niemand weiß, ob es eine bessere oder eine schlechtere sein wird. Wenn jedes Land beschließt, seine eigenen Karten auszuspielen – wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts – werden die Folgen die gleichen sein: Abkoppelung, Zunahme des Nationalismus, Unfähigkeit, sich gemeinsamen Herausforderungen zu stellen, ausgedehnte Krisen; und dann Autoritarismus, wachsende Konflikte, Tragödien, Tod und Verzweiflung.
Glücklicherweise ist das kein vorbestimmtes Schicksal. Seit Gründung der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union haben wir Menschen zwei Paradigmen entwickelt, um diese Albträume zu vermeiden: Föderalismus und Demokratie, die auf nationaler und regionaler Ebene außerordentlich erfolgreich waren. Es ist an der Zeit, sie auf der globalen Ebene anzuwenden.
Obwohl wir Menschen erstaunliche Innovatoren in der Technologie und pragmatische Genies in der Wirtschaft sind, bleiben wir Menschen leider in der Politik konservativ. Die Ausweitung von Föderalismus und Demokratie auf die globale Ebene klingt für die meisten immer noch wie ein utopischer Traum. Gleichzeitig deckt ein Netzwerk, das auf elektrischen Impulsen beruht und durch Einsen und Nullen verschlüsselt ist, fast die ganze Welt ab, unabhängig davon, wie sehr unsere Volkswirtschaften, Kulturen und sozialen Beziehungen davon betroffen sind. In der Tat scheint es heute für alle Menschen die natürlichste Sache der Welt zu sein.
Wir brauchen globale Demokratie mit einem Weltparlament
Eine föderal-demokratische globale Struktur oder ein neuer Albtraum, ist das die Frage, vor der wir stehen? Wir brauchen globale Demokratie, in der ein Weltparlament verbindliche Frühwarnstandards und verbindliche Gesundheitsprotokolle als Reaktion auf Pandemien liefert. Und sie sollte durch Weltföderalismus ergänzt werden, der die nationale Souveränität in nationalen Fragen bewahrt, aber Entscheidungen über globale Fragen delegiert.
Das ist kein Komplott gegen Nationalstaaten, sondern ein verzweifelter Versuch, die Demokratie zu retten. Das bedeutet weder einen Weltstaat noch eine Weltregierung, die auf einer zentralisierten Exekutivgewalt beruhen. Im Gegenteil, Weltföderalismus und globale Demokratie würden die Kapazitäten der globalen Justiz und der parlamentarischen Mächte, die auf globaler Ebene noch in den Startlöchern stehen, stärken.
Konkret fordere ich eine Parlamentarische Versammlung bei der UNO, deren Verordnungen bindend, aber auf kritische globale Fragen wie Pandemien und Klimawandel beschränkt sein sollten. Sie könnten durch einen Internationalen Strafgerichtshof verstärkt werden, der in der Lage ist, Völkermorde und Kriegsverbrechen zu sanktionieren, aber auch solche Regierungen, die sich nicht an die Coronavirus-Kontrollprotokolle halten.
Science-Fiction ist bereits unsere Realität. Wird es wie Star Trek oder Star Wars sein?
Ein Welt-Totalitarismus? Wohl kaum. Totalitarismus beruhte schon immer auf Nationalismus und Kriegen gegen äußere Feinde, die es auf globaler Ebene nicht gibt, außer im unwahrscheinlichen Fall einer Invasion des Mars. Darüber hinaus bedeutet Weltföderalismus im Gegensatz zu Orwells 1984 nicht die Schaffung eines zentralen Big Brother, sondern vielmehr die Dezentralisierung globaler und lokaler Politik, die sich der Nationalstaat widerrechtlich angeeignet hat.
Dadurch wird ein ausgewogeneres und dezentralisiertes lokales, provinzielles, regionales und globales Entscheidungssystem unterstützt, in dem jede Ebene ihre eigenen Kapazitäten und Kompetenzen hat und diese in der Lage sind, sich gegenseitig zu begrenzen und zu kontrollieren. «Ein Netzwerk!» würden die Millennials sagen. Ein Netzwerk, das so horizontal und dezentralisiert ist wie die digitale Welt und so interaktiv, partizipativ und schnell wie seine Plattformen.
Ein globales politisches System des 21. Jahrhunderts für eine globale Gesellschaft des 21. Jahrhundert. So einfach ist das.
Vielleicht hat uns die Coronavirus-Krise gelehrt, wie klein die Erde ist, wie nahe wir einander sind und dass die Menschheit bereits eine Schicksalsgemeinschaft ist. Vielleicht lernen wir nur aus Tragödien. Wenn dies der Fall ist, wird die Panik, die durch unzureichende Reaktionen auf globale Krisen, Unzufriedenheit und Wut ausgelöst wird, weiter wachsen; und mit ihr Nationalismus und Populismus mit ihren einfachen Antworten auf komplexe globale Fragen und ihren Bedrohungen für Demokratie und menschliches Leben.
Science-Fiction? Science-Fiction ist bereits unsere Realität. Es bleibt abzuwarten, ob sie wie Star Trek oder Star Wars sein wird.
Dieser Beitrag wurde im Original von Global Policy auf englisch veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir ihn auf unserem Blog. Das Urheberrecht verbleibt bei Global Policy und dem Autor. Übersetzung aus dem Englischen: Caroline Kessler.